.

.

-

-
-

-

-
-

-

-
-

Ovacik

Ovacik

17 Nisan 2009 Cuma

Welches Instrument der Teufel spielt


Zensur


VON HANS-JÜRGEN LINKE


Musik ist eine Gefahrenquelle. Sie bedroht die öffentliche Sicherheit, besonders, wenn sie in Kombination mit Texten als Lied durch die Welt schallt. Lieder können ganze Länder, ihre Bewohner und Geschichte verächtlich machen, Schmerzen zufügen, Götter und religiöse Gefühle verletzen, sie können subtile oder offene Aufrufe zur Revolte sein. Die Daten, Fakten und Geschichten, die das Forum FreeMuse auf dem Symposium über Musik und Zensur mit dem Titel "Music - A Human Right" im Nobel-Friedenszentrum in Oslo zusammengetragen hat, lassen keinen anderen Schluss zu. Manchmal braucht Musik nicht einmal den Text, es genügt schon ein Klang, eine Instrumentation, ein kompositorisches Verfahren. Als Schostakowitsch hörte, ihm werde "Formalismus" vorgeworfen, wusste er, dass er in Lebensgefahr schwebte, und die nordländischen Sami verbrannten ihre Trommeln, weil schwedische und norwegische Missionare ihnen klar gemacht hatten, diese Instrumente seien des Teufels und also etwas unmittelbar Böses. In vielen Gesellschaften und politischen Systemen sind Geschmacksurteile nicht die einzigen Urteile, die Musik provoziert: Vielfach trifft sie auf strafrechtlich bewehrte, staatlich exekutierte Zensur. Sie trifft nie Musik allein, aber vielfach trifft sie sie scheinbar besonders irrational und hart.


FreeMuse vertritt den Grundsatz, dass die Freiheit der Musik zum unteilbaren Menschenrecht der Ausdrucksfreiheit gehöre. Die Musiker und Referenten, die am "Music Freedom Day" zum Symposium in Oslo eingeladen waren, beschränkten sich nicht auf die üblichen Verdächtigen und Regionen, sondern wussten auch den Blick auch auf weniger verdächtige Weltgegenden zu richten und auf Zensur-Mechanismen, die nicht immer ganz leicht dingfest zu machen sind. Zensur mit Hilfe von Marktmechanismen Zum Beispiel kann Zensur einfach mit Hilfe von Marktmechanismen in die Welt kommen. "Wir können deine Sachen nicht mehr vermarkten", war ein Satz, den Kris Kristofferson seit Anfang der achtziger Jahre immer öfter zu hören bekam - ein Satz, mit dem eine Plattenfirma begründete, warum sie seine Alben nicht mehr produzieren wollte, mit dem eine Radiostation begründete, warum sie nichts mehr von ihm senden würde, mit dem Konzertveranstalter schulterzuckend reagierten, wenn er fragte, warum er nicht mehr auftreten könne. Der Markt wollte ihn nicht mehr - komischerweise, sagt Kristofferson, wollte der Markt ihn nicht mehr, nachdem er begonnen hatte, sich kritisch mit der Mittelamerikapolitik der US-Regierung auseinanderzusetzen und wenig später auch mit der Irak-Politik unter Präsident Bush dem Älteren.


Auch der geradezu historische Flop, zu dem sich Michael Ciminos Film "Heaven's Gate" (mit Kristoffersen in einer Hauptrolle) entwickelte, kommt ihm heute verdächtig vor. Er erzählt von Besuchen des Reagan-Beraters Alexander Haig bei einflussreichen Hollywood-Produzenten mit dem Ziel, mit Filmen nicht mehr die amerikanische Geschichte verächtlich zu machen.

Kristofferson ist einer jener kernigen Folk- und Country-Sänger, geradlinig und freiheitsliebend, auch mit Anfang 70 repräsentiert er diese ur-amerikanische Art des aufrechten Gangs immer noch ungebrochen und mit einer tiefen, authentischen Menschenfreundlichkeit. Gern greift er zur Gitarre und singt über nicht allzu komplizierten Harmonien eines seiner prägnanten, eindringlichen und nie unsentimentalen Lieder über die Sorgen, Nöte und Ängste der kleinen Leute und die Kosten der Freiheitsliebe. Mit ihm steht die große Tradition eines Woody Guthrie oder Pete Seeger auf der Bühne. Man hat nicht den Eindruck, einen Paranoiker vor sich zu sehen. Und der Gegenwind des Marktes?


Ach, sagt er, man gewöhne sich daran, wenn man genug Geld habe, um nicht darben zu müssen. Aber er befürchtet Schlimmes für Leute, die als Künstler in einer anderen Situation sind, etwa am Anfang ihrer Karriere. Er befürchtet vorbeugende Kapitulation vor Massengeschmack und Mainstream, er befürchtet politische Abstinenz und Stromlinienform. Die Dixie Chicks zum Beispiel, sagt er, seien mutig, aber wenn sie gewusst hätten, was ihnen blühe - stapelweise Morddrohungen, von religiösen Mehr- und Minderheiten initiierte und von Rundfunksendern unterstützte CD-Zertrampelungs-Aktionen und mehr -, hätten sie sich ihre Deutlichkeit verkniffen. Jeder Künstler wolle Öffentlichkeit, sagt der weise Kris Kristofferson, man solle also den Druck, der von solchen Ereignissen ausgehe und sich über den Markt vermittele, nicht unterschätzen, und man könne ihn auch nicht gegen die Zustimmung aus der Community der Gleichgesinnten aufrechnen. Es seien nicht unbedingt die Künstler, die zurückwichen. Eine große Rolle spielten im Prozess der Selbstzensur die Berater, Manager, Produzenten. Diesem komplexen Bild demokratischer Zensurmechanismen stellten Ferhat Tunç und Chiwoniso Maraire ihre Erfahrungen mit basaleren, aber keineswegs weniger verheerend wirkenden Mechanismen gegenüber.


Tunç ist Kurde, lebt in der Türkei und singt auf Türkisch und Kurdisch Lieder, die von traditioneller kurdischer Musik inspiriert sind und sich mit politischen Vorgängen im Lande auseinandersetzen, aber manchmal auch einfach volkstümliche Lieder sind von Hirten, die in den Bergen auf ihre Ziegen aufpassen. Man wisse nie genau, warum, sagt er, aber man werde ständig festgenommen, vorgeladen und angeklagt. Juristischer Ausgangspunkt ist dabei immer der berüchtigte Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzbuches, der eine Verächtlichmachung der Türkei unter Strafe stelle. Hrant Dink, der im Januar 2007 ermordete Publizist, war ein guter Freund, Ferhat Tunç fühlt sich inzwischen ebenfalls bedroht. Dass die türkische Polizei ihm Polizeischutz angeboten hat, hat sein Sicherheitsgefühl nicht verbessern können.


Chiwoniso Maraire ist in den USA aufgewachsen, inzwischen lebt sie wieder in Simbabwe. Dort sei, sagt sie, ein politischer Prozess in Gang, der hoffentlich die Ära Mugabe beenden werde und dem sie sich zugehörig fühlt. Es sei eher ein Projekt ihrer Generation als das einer bestimmten politischen Partei, und dieser Ansicht verschafft sie mit ihrer Art, Musik zu zelebrieren, und ihren Texten Ausdruck. Manchmal, sagt sie, kämen Polizisten in den Konzertsaal, die in voller Straßenkampfmontur nach subversiven Elementen Ausschau hielten und sich keine Mühe gäben, unauffällig zu sein. In etwas über drei Wochen seien Wahlen in Simbabwe, sagt Chiwoniso und blickt zuversichtlich in Richtung Horizont. Die Sängerin Mari Boine, die zu den norwegischen Sami gehört, kann von vielen Veränderungen in der zeitlichen Spannweite ihrer Biografie berichten. In ihre Jugend fiel die Einrichtung der ersten Schulkassen, in denen in ihrer Muttersprache unterrichtet wurde.

Mari Boine repräsentiert mit ihrer Musik nicht die archaische schamanische Tradition, sondern den komplizierten Modernisierungsprozess, dem die Sami sich ausgesetzt sehen; sie repräsentiert die Anschlussfähigkeit ihrer Kultur an ein modernes Staatswesen und des traditionelle Joiks an elektronischen Gegenwarts-Pop. Wenn sie von Zensur spricht, geht es vor allem um Scham- und Schuldgefühle, die von protestantischen Missionaren und bürgerlichen Modernisierern installiert wurden. Die Sami- Kultur habe im 19. Jahrhundert überall in Nordskandinavien als primitiv und lächerlich gegolten. Es habe beträchtliche Überwindung gekostet, die eigene Sprache als Schrift- und Kultursprache zu akzeptieren, und als sie begonnen habe, auf einer Sami-Trommel zu trommeln, seien ihre Eltern entsetzt darüber gewesen, dass sie nun endgültig ihre Seele dem Teufel überantwortet habe.


Der norwegische Staat habe sich als äußerst lernfähig erwiesen, gesteht Ande Somby zu. Er ist Professor an der juristischen Fakultät der Universität Tromsø, flicht gern kleine sarkastische Scherze ("Eigentlich sollte ich mich jetzt da draußen mit Rentieren befassen") in seinen Vortrag und verweist nebenbei darauf, dass der ethnische Respekt sehr schnell ende, wenn es darum gehe, nach Öl zu bohren. Ansonsten mische sich in die sprichwörtliche nordische Toleranz gern auch eine größere Portion Desinteresse. Während Zensur für Künstler eine Bedrohung sei, bedeute sie für Politiker oft schlicht die Verteidigung eines Status Quo. Religiöse und politische Zensurgründe seien die häufigsten und manchmal kaum voneinander zu unterscheiden. Es komme auch vor, dass Gesetze demokratischer Staaten Ausgangspunkt von Zensur seien, führte der Politikberater und Medienwissenschaftler Helge Rønning (Oslo) aus.

Die Grenzen für legitime Zensur will er sehr ziehen: Sie müsse ausgehen von einem demokratischen Gemeinwesen und eine konkrete Bedrohungssituation dingfest machen können. Ein Slogan wie "Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit" mache es sich zu leicht; dass Äußerungen bestimmter Meinungen bestimmten Bevölkerungsgruppen Unbehagen bereiten, genüge nicht als Legitimation für die Beschränkung des Grundrechts auf Ausdrucksfreiheit. Und gewöhnen solle man sich daran besser nicht.

Hiç yorum yok:

Yorum Gönder