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Ovacik

Ovacik

17 Nisan 2009 Cuma

Die gefesselte Muse






Von Lea Wolz, Osnabrück.

Der Sage zufolge hätte Orpheus seine Geliebte, Eurydike, durch seine bezaubernden Klänge fast

aus der Unterwelt befreit. Schon die Griechen ahnten wohl, dass Musik mächtig ist. Eine Macht, die noch heute gefürchtet wird und dazu führt, dass Musiker weltweit zum Schweigen gebracht werden. Durch Zensur. "Musikzensur aus politischen oder religiösen Gründen existiert in mehr Ländern, als man glaubt, und sie basiert auf Angst", sagt Marie Korpe, GeschaÅNftsführerin von "Freemuse" (Freedom of Musical Expression), einer internationalen Organisation mit Sitz in Kopenhagen, die sich mit diesem Thema beschäftigt. Um auf die Lage zensierter Musiker aufmerksam zu machen, veranstaltet "Freemuse" heute, am 3. März, zum zweiten Mal den "Tag der Freiheit der Musik" in Oslo. Denn die Nachfahren des Orpheus dürfen nicht überall ihre Stimme frei erheben. "An der Nord-West-Grenze von Pakistan wird zurzeit harte Zensur verübt, ebenso in manchen Regionen Afghanistans, im Iran, in Simbabwe und Burma, um nur einige Beispiele zu nennen", sagt Korpe. Die Taliban verboten in Afghanistan sogar jegliche Musik, wie ein Report der Organisation verdeutlicht.


In der Swat-Region, nördlich von Islamabad, werden laut "Freemuse" Musiker und Musikverkäufer seit einiger Zeit eingeschüchtert und ihre Läden und Wohnungen in die Luft gesprengt. Die Konsequenz: In der einst für ihre traditionelle Pashtunen-Musik bekannten Region haben seit November 2007 mehr als 40 Musikläden geschlossen, wie es bei "Freemuse"

heißt. "Bei uns ist die Muse positiv konnotiert, aber in der radikalen Auslegung des Islam gilt Musik als nutzlose Beschäftigung oder gar als Sünde", erklärt die Musikwissenschaftlerin Dr. Alenka Barber-Kersovan, die an der Universität Hamburg unterrichtet und im wissenschaftlichen Beirat von "Freemuse" sitzt.


Doch Musikzensur macht nicht an den Grenzen des Orients halt: "So viel wie heute zensiert wird - und das nicht nur vom Staat -, wurde lange nicht mehr zensiert", stellt sie fest. "Auch in der westlichen Welt." Das bekannteste Beispiel: In der angespannten Atmosphäre nach dem 11. September nahm der US-Radiosender "Clear Channel" die amerikanische Country-Band "Dixie Chicks" aus dem Programm und rief Fans auf, die CDs der Band zu zerstören. Der Grund: Die Lead-Sängerin der Band, Natalie Maines, hatte Präsident George W. Bush öffentlich kritisiert. Auch der türkische Musiker Ferhat Tunç, der heute ebenfalls bei dem Konzert im Nobel- Friedenszentrum in Oslo auftritt, kennt die subtilen und handfesten Methoden der Zensur. 1964 in der kurdischen Stadt Dersim/Tunceli geboren, prägten ihn die alevitische Religion und die Geschichte seiner Heimat. "Obwohl der Einfluss der EU manche Öffnung gebracht hat, sind wir noch weit weg von einem Land, das sich von den Tabus seiner Gründerzeit emanzipiert hat", sagt der Freund des 2007 ermordeten türkischen Journalisten Hrant Dink. "Diese Tabus, die Kurdenfrage, die Armenierfrage und die Alevitenproblematik sowie - damit verbunden - der Aspekt der Demokratisierung und der Meinungsfreiheit sind die Probleme, die laut auszusprechen ich mich in meiner Musik getraue." und ergänzt: "Ich singe keine Lieder ohne Bedeutung und Sinn, die nur Spaß und Gaudi geben."


Verhaftungen, Konzertverbote, Gerichtsverfahren und Morddrohungen begleiten seinen Weg

daher, seit er 1985 aus Deutschland in die Türkei zurückkehrte. Separatismus wird ihm dort unter anderem vorgeworfen. "Nach jedem Konzert werde ich regelmäßig verhaftet, meine Alben werden vorgehört, getestet, zensiert", sagt der Musiker, der mit seiner Familie in Istanbul lebt. "So passiert es, dass Zivilpolizei hinter den Kulissen auftaucht , eine Liste in der Hand. Darauf stehen Lieder von mir, die ich am Abend nicht singen soll, die als gefährlich eingestuft wurden. Sie teilen mir dann mit, falls ich dieses oder jenes Lied doch singen sollte, machte ich mich schuldig", sagt Tunç."Ich soll mundtot gemacht und am besten außer Landes getrieben werden." Nach dem Tod seines Freundes Hrant Dink, erreichen auch ihn zunehmend Todesdrohungen. "Eine, die bei der Polizei eintraf, lautete: "Wir haben Hrant Dink umgebracht. Osman Baydemir, Metin Tekce und Ferhat Tunç sind die Nächsten'", erinnert er sich. "Zwei Monaten nach diesem Schrecken rieten mir die zuständigen Stellen, auf mich selbst aufzupassen." Eine Gefahr für die Sicherheit des Staates sah die südafrikanische Regierung zur Zeit der Apartheid auch in den kritischen Liedern des in Durban geborenen Musikers Roger Lucey. "Sie zapften mein Telefon an, fingen meine Telefongespräche ab und drohten jede Veranstaltung, bei der ich auftreten wollte, in die Luft gehen zu lassen", erinnert er sich. Die Zensur zeigte Wirkung, Lucey gab auf und schwieg. "Eine niederschmetternde Erfahrung", sagt er. "Wenn deine Stimme alles ist, was du hast, und dir das weggenommen wird, wird das Leben sehr schwierig."


Doch warum wird Musik überhaupt zensiert? "Musik stellt eine parallele Machtstruktur dar", sagt Barber-Kersovan, die über die Rolle des Punk im Slowenischen Frühling geforscht hat. "Es gibt Idole und Fans, Führer und Geführte, diese Massenwirksamkeit der Musik ist ein Zensurgrund." Ihr Fazit: "Der Punk trug wesentlich zur Erweiterung der politische Freiräume bei und war eine wichtige Triebkraft der gesellschaftlichen Umwälzungen." Musik kann also ein Sprengsatz für ein gesellschaftliches Gefüge sein, den mancher Machthaber lieber entschärft. Ähnlich sieht es auch Prof. Christoph Louven, der sich am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Eichstätt mit dem Verhältnis zwischen Politik und Musik beschäftigt. "Musik arbeitet stark über Identifikationsmuster, man zeigt, dass man zu einer Gruppe gehört", sagt er. "Und sie ist natürlich im Fall der Musikzensur gegen ein System gerichtet, das bekämpft werden soll."


Ebenso wie Staaten ihre Hymnen bräuchten auch Revolutionen ihre Symbole. Obgleich Meinungsfreiheit ein Menschenrecht ist, sieht Barber-Kersovan auch Grenzen: "Nazi- Bands und Hassreden werden zum Beispiel zu Recht zensiert", sagt sie. Denn: "Ohne immer wieder ausgehandelte Grenzen gäbe es keine Freiheit, und das Ganze würde in Anarchie ausarten."

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