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Ovacik

Ovacik

17 Nisan 2009 Cuma

Künstler gegen Zensur in Oslo und Berlin. Und Istanbul?


Jahrgang 4 Nr. 10 vom 6.03.2008

Verfemt – Angeklagt – Gefeiert



von Anja Hotopp

Den Mythos der betörenden Sirenen des Orients, die den tapferen Seefahrer Sindbad fast um den Verstand brachten, kennt wohl jeder. Ähnliches könnte man von schnelllebiger Popmusik unserer Zeit sagen, meint Ferhat Tunç, mit je 400.000 Einheiten meistverkaufter kurdischer Protestsänger aus der Türkei. Die belanglose Popmusik in seinem Land solle die Menschen vernebeln, von wirklichen Inhalten und Problemen der Zeit ablenken. Gleiches gelte für viele Länder: Kritische Künstler werden vom Mainstream übertoÅNnt, von Staatsmächten mundtot gemacht und zensiert. „Musik kann wortgewaltig sein oder belanglos“, resümiert Tunç, der am Internationalen Tag der Freiheit der Musik als musikalischer Botschafter der Türkei in Oslo auftrat. Neben Mari Boine aus Lappland, Kris Kristofferson, USA und Chiwoniso Maraire aus Simbabwe war Tunç der Hauptact des Tages, hunderte Journalisten, Musiker und Musikliebhaber fanden den Weg nach Norwegen.


Der 3. März ist der internationale Tag der Freiheit der Musik. Die weltweit agierende Künstlerinitiative „freemuse“ (Freedom of Musical Expression) ist seit Jahren im Kampf gegen die Unterdrückung von Musikern und gegen Zensur aktiv. Zum zweiten Mal trafen sich Musiker, Sänger und Journalisten aus aller Welt, um die Freiheit der Worte und der Musik einzufordern, um auf verfolgte Musiker aufmerksam zu machen und sich zu vernetzen. In diesem Jahr wurde erstmalig das Konzert der in „freemuse“ zusammen geschlossenen Musiker in ganz Europa übertragen. Von Norwegen bis Portugal, von Bulgarien über Litauen bis Island wurde dem Anliegen kritischer Liedermacher Gehör verschafft. In Deutschland war das „DeutschlandRadio Kultur“ dabei. In Podiumsdiskussionen und Konzerten im ehrwürdigen Friedens-Nobel-Center von Oslo warb man für die Freiheit von inhaftierten Musikern, für den Kampf gegen Zensur oder staatliche Einschüchterungsversuche. Und dass dies nötig zu sein scheint, zeigt auch der Fall des kurdischen Protestsänger Tunç. Seitens des türkischen Staates wird der politisch aktive Sänger, Bürgermeisterkandidat für Istanbul des Jahres 2004, permanent verfolgt.


Ferhat Tunç ist einer der bekanntesten Liedermacher der Türkei und vor einer Woche wieder

einmal in Istanbul verhaftet wurden. Morgens um sechs Uhr drangen bewaffnete Angehörige der paramilitärischen „Jandarma“ in das Haus seiner Familie ein und nahmen ihn fest, während Frau und Tochter sich für den Schulweg bereit machen wollten. Grund für die Verhaftung nach Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzbuches sei das Singen eines Liedes gewesen, sagte Tunç. In der Anklageschrift heißt es: Tunç habe bei einem Konzert in Dersim, vor zwei Jahren, mit einem Song separatistische Propaganda betrieben. Unter Separatismus-Verdacht gerät man im Land zwischen Orient und Okzident schnell. Bereits Behauptungen, dass es Aleviten, Kurden, Christen gäbe und die Forderung nach Aufarbeitung des Genozids an den Armeniern oder sich dem Militärdienst entziehen zu wollen, führe zu Anklagen.


Vorwiegend fußen sie auf Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzbuches, der die Verunglimpfung und oder Herabsetzung des „Türkentums“, der Republik oder des Nationalparlamentes unter Strafe stellt. Immer wieder werden Künstler, Schriftsteller und

Musiker in der Türkei angeklagt, inhaftiert und bedroht. Dieser Gummiband-Paragraph geriet unlängst erneut in die Kritik. Obwohl Bürgerrechtler und EU-Politiker seit langem eine Reformierung oder besser noch die Abschaffung des Artikels verlangen, dessen einziges Ziel es sei, kritische Stimmen verstummen zu lassen, ließen Reaktionen aus Ankara lange auf sich warten. Doch plötzlich – ein Jahr nach der Ermordung des Journalisten Hrant Dink – kündigte Ankara an, schnell handeln zu wollen. So zumindest stellte es Mitte Januar Justizminister Mehmet Ali Ahin dar. Nun liegt der Neuentwurf des Artikels 301 bereit. Doch weit geht der Reformeifer der Regierenden in Ankara nicht. Das Wort „Türkentum“ soll durch den Terminus „das türkische Volk“ ersetzt werden und künftig werde ein Zuwiderhandeln mit maximal zwei anstatt drei Jahren bestraft. Bekanntschaft mit dem türkischen Strafgesetz machte neben etlichen Musikern auch schon der armenische Journalist Hrant Dink. Seine Geschichte sorgte für Schlagzeilen. Angeklagt, verurteilt und ermordet.


Die Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk und Yasar Kemal genau wie der Sänger Ferhat Tunç sind immer wieder Angeklagte gemäß umstrittenen Artikels. Insgesamt umfasst der Kreis der vom Paragraph 301 Betroffenen etwa sechzig türkische und kurdische Autoren, Musiker und Mitarbeiter der Medien. Dass die Repressionen gegen die Demokratiebewegung in der Türkei seit der Machtübernahme der AKP keineswegs milder geworden sind, sondern eine gegenläufige Entwicklung zu verzeichnen ist, belegen die Zahlen des türkischen Menschenrechtsvereins IHD, dessen Mitbegründer Tunç ist. Im vergangenen Jahr zählte die türkische NRO so viele Opfer von Menschenrechtsverletzungen, wie seit acht Jahren nicht mehr. Auch die neuerliche Festnahme des Liedermachers Ferhat Tunç zeuge davon, dass die Reformbekundungen der türkischen Regierung eher als Feigenblatt dienen als wirkliche Änderungen zu erreichen.


Solche Missstände öffentlich zu machen, hat sich „freemuse“ auf die Fahnen geschrieben. Mitglieder im Freemuse-Netzwerk gegen Zensur in der Musik sind unter anderem Gianna Nanini, die Ibrahim Tatlıses oder Manu Chao. Seit Jahren arbeiten die Organisatoren der Initiative, die sich 1998 in Kopenhagen gründete, gegen staatliche Einschüchterungsversuche im Bereich der Musik. Etliche Künstler aus der Türkei wie Nilüfer Akbal, Aynur Dogan, Sanar Yurdatapan oder Selda Bagcan sind ebenfalls in „freemuse“ organisiert und wünschen sich eine offenere Gesellschaft mit webiger Zensur und Diskrimminierung. Dabei wollen nicht nur islamische Staaten, Diktaturen oder `Dritt-Welt-Länder` Musikern einen Maulkorb verpassen, sei es aus politischen oder religiösen Gründen. Auch in der westlichen Welt ist vor allem nach dem 11. September 2001 eine Zunahme subtiler Zensur zu verzeichnen.


Amerikanische Künstler, die sich offen gegen die Politik von Georg Busch aussprechen, werden schon mal von Radiosendern boykottiert und Fans werden aufgerufen, sich von den Künstlern zu distanzieren. Ferhat Tunç ist seit diesem Jahr „freemuse“-Botschafter für die Freiheit der Musik. Auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung kommt er auch nach Deutschland: Am 3. April wird er zusammen mit Konstantin Wecker und Hans-Eckardt Wenzel in der Berliner Passionskirche auftreten, sein Konzert-Motto dort „Die Gedanken sind frei“. Konstantin Wecker unterstützt diese Initiative, um „unsere kurdischen, deutschen und türkischen Gäste einander näherzubringen, für solche Themen zu sensibilisieren“.


Wie auch beim Treffen in Oslo soll es neben dem Konzert eine Podiumsdiskussion geben. In Berlin werden Prominente wie der Europaparlamentarier Cem Özdemir und Prof. Dr. Udo Steinbach zum Thema „Freiheit des Wortes – Kunst der Freiheit“ diskutieren. Dabei solle nicht nur mit erhobenem Zeigefinger auf die Türkei gezeigt werden, auch in Deutschland gibt es Entwicklungen, die Grund zur Sorge gäben. Nach dem Verbot der kurdischen Europa-Zeitschrift „OÅNzgür Politika“ durch Innenminister Schily vor zwei Jahren, dem Skandal um Akreditierungen um den G8 Gipfel in Heiligendamm letztes Jahr sei nun der kurdische Satellitensender „Roj TV“ aus Kopenhagen Ziel von Zensur. Roj TV ist vor vier Wochen in Baden-Württemberg vom Netz genommen worden. Für Tunç wird es eine Rückkehr nach vielen Jahren sein: Während der Militärdiktatur in der Türkei in den 80er Jahren lebte er in Deutschland, in Berlin nahm er mit deutschen und amerikanischen Freunden 1984 seine erste Platte auf. Umso mehr freut er sich auf ein Wiedersehen mit alten und neuen Freunden.

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