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Ovacik

Ovacik

17 Nisan 2009 Cuma

ORIENT, Steffen Riecke

ORIENT, Steffen Riecke, Heft 2/2003, S. 181-188

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Ferhat Tunç


Ein kurdischer Künstler aus der Türkei Ferhat Tunç wurde am 14. März 1964 als erstes Kind einer achtköpfigen alewitischen Familie in einem dem Dorfe Babaocagı zugehörigen Weiler namens Tulık in der Provinz Tunceli geboren. Der Name Tunceli, zu deutsch bronzene Hand, wurde der kurdischen Stadt Dersim verliehen, nachdem dort im Jahre 1937/38 die türkische Armee mit `eiserner Faust` die Aufstände der kurdischen Alewiten brutal niedergeschlagen hatte1. Tunceli/Dersim liegt in gleichnamiger Provinz der Türkischen Republik, eingebettet südlich der Gebirgsketten der Mercan- und Cemaldagları, die an der Nordwestflanke des geografischen Raumes Kurdistan liegen. Diese wechselvolle Geschichte von Aufständen, Krieg, Flucht und Vertreibung in der Stadt und der Provinz Tunceli/Dersim spiegeln sich auch wieder in den Werken des Künstlers Ferhat Tunç. Seine kurdische Herkunft, die Zugehörigkeit zur alewitischen Religion und die spezielle Geschichte Dersims sind wichtige Mosaiksteine des Schaffens - Inspirationsquelle und Auftrag zugleich - für den Komponisten, Sänger, Autoren und politisch handelnden Menschen Ferhat Tunç. Seine musikalische Laufbahn begann in früher Kindheit in den Bergen von Dersim. Bereits in der Grundschule war er als guter Sänger beliebt und trug morgens vor dem Unterricht Lieder bekannter Musiker vor, vornehmlich von alewitischen Ozanlar2. Diese Volkslieder hatte er von seinen Großeltern gelernt, sein Vater lebte damals schon als `Gastarbeiter` in der Bundesrepublik Deutschland. Die Kinder zogen mit der Mutter nach Dersim als der Vater dort ein Haus erwerben konnte. Die Orta Okul [Mittelschule] besuchte er nun in Dersim/Tunceli. Während seiner Gymnasialzeit sang er oft auf Familienfeiern und Veranstaltungen von linken Organisationen sowie das erste Mal im „Arkadas-Sinema“ von Tunceli vor ausverkauftem Haus. Seit dieser Zeit wurde er `der kleine Ozan von Dersim` genannt3. So wie ihn seine Herkunft, die Natur seiner Heimat und die alewitische Religion beeinflusst hatten, wirkten auch die politischen Ereignisse in der Türkei der siebziger Jahre auf ihn ein. Die Zeit war geprägt von gnadenlosen Auseinandersetzungen linker und rechter Bewegungen. Wie viele andere tausende Alewiten auch begeisterte sich der junge Tunç für die kommunistische Bewegung und ihre türkische Galionsfigur Ibrahim „Ibo“

Kaypakkaya4. Tunceli wurde zu der Zeit ob seiner Funktion als Hochburg der Linken `kücük Moskova` [klein Moskau] genannt und die Schriften Kaypakkaya´s und Lenin´s gingen von Hand zu Hand. Es herrschte eine revolutionäre Stimmung unter den Linken in der Türkei. Die Kämpfe zwischen den faschistischen Grauen Wölfen, Polizei, Gendarmerie, Militär und

Studenten, linken Arbeitern und Intellektuellen verschärften sich. Jeden Tag waren Menschenleben zu beklagen, doch den staatlichen Kräften war die Kontrolle über die Situation entglitten, teilweise waren sie sogar auf Seiten der Rechten in die Auseinandersetzungen involviert.


Mit diesen Eindrücken und seine erste Liebe, seine Freunde und die Berge zurücklassend, zog er noch während seiner Gymnasialzeit 1979 nach Rüsselsheim in Hessen. Dem beharrlichen

Drängen des Vaters konnten der junge Tunç und die Großeltern nichts mehr entgegensetzen.

Seine Musik war ihm in der kalten, fremden Umgebung Deutschlands Stütze, Erinnerung und

zugleich Möglichkeit, die neuen Eindrücke zu verarbeiten. Er besuchte nun die Volkshochschule

in Rüsselsheim, wo er deutsch lernte5. Als erstes Ergebnis dieses neuen Lebensabschnitts

erschien 1982 sein Debütalbum „Kızılırmak“6. Das Album wurde in einem kleinen Studio in

Bremen aufgenommen7. Ebenfalls im Jahr 1982 lernte er in Frankfurt am Main den amerikanischen Musiker Darnel Sumers kennen, probte mit ihm und gründete mit ihm, drei deutschen und einem griechischen Freund die erste Band. Sie gaben in Westdeutschland, aber auch im benachbarten Ausland viele Konzerte. Die neuen Freunde und vornehmlich Summers, der zu der Zeit Reggaemusiker war, erweiterten seinen musikalischen Horizont, sorgten für neue Einflüsse auf sein Verständnis von Musik. An der Musikschule der Universität Mainz begann er eine Gesangsausbildung, die ihm bewusst machte, dass es für einen guten Musiker nicht genügt, einfach eine gute Stimme zu haben und sein Instrument zu beherrschen. Die Stimme muss ausgebildet werden, sie muss eine sichere Qualität erreichen und dem Sänger verlässliches Instrument sein. Als Produkt dieser Phase des Lernens und der neuen Einflüsse erschien 1984 "Bu Yürek Bu Sevda Var ken".


Er begriff sich damals als revolutionären Sänger, für den das Liedgut Werkzeug bei der Arbeit

für die Revolution sein muss. Diese Haltung und deren spätere Relativierung kommentiert der

Schriftsteller Muhsin Kızılkaya so: „Während die begeisterten Massen [nach den Konzerten

d.A.] den Saal verließen, bewaffneten sich die hinter den Kulissen wartenden Musiker mit

Schaufel und Besen, um den Konzertraum zu reinigen. Das Putzen nach dem Konzert war ihre

Aufgabe, denn die Pflicht der Revolutionäre war mit dem Mitsingen der Lieder erfüllt.“ Der

Gesangsausbildung zog er nach sechs Monaten jedoch das Tournee-Leben eines Musikers vor

und brach diese ab. In die Türkei zurückzukehren, die nach dem Militärputsch vom 12.

September 1980 viele Tausende Linke , Intellektuelle, Arbeiter und Bauern verlassen hatten und in der abertausende in Gefängnissen saßen oder umgekommen waren, kam für den politischen Sänger Tunç vorerst nicht in Betracht. Auch da er nun in der Bundesrepublik vor allem vor Publikum aus dem linken türkisch-kurdischen Spektrum auftrat8 und bei der Rückkehr deshalb mit Verfolgung durch die Militärregierung zu rechnen gehabt hätte.

Erst 1985 – die Gesellschaft der Türkei war immer noch geprägt von den Sondergesetzen und der Gewalt der Junta – kehrte er das erste Mal zurück. Ein Leben ohne Option auf Rückkehr wäre für ihn wie ein schleichender Tod gewesen, er vermisste die Natur seiner Heimat und er hatte vor, endlich die Kenntnisse seiner Muttersprache Zaza zu verbessern9, die ihm seine Mutter aus Furcht vor Repressalien in der Schule nur bedingt beigebracht hatte. Auf Konzerten und auf seinen CD´s trägt er immer auch einige Stücke auf Zaza10 oder Kurmancî vor, was zusätzlich zur generell politischen Dimension seiner Texte weiteres Konfliktpotenzial impliziert, da bis zur Aufhebung des Sprachverbotes im Jahre 199111 die Existenz des kurdischen Volkes an sich geleugnet wurde. In der Türkei angekommen, wurde er erst einmal – wie es viele Freunde prophezeit hatten – festgenommen. Im berüchtigten Folterzentrum DAL12 in Ankara wurde er eine Woche lang verhört, erniedrigt und gefoltert. Nach dieser Woche wurde er in eine Türkei entlassen, wie er sie nicht kannte: Tausende waren in den Gefängnissen, das öffentliche geistige Leben war paralysiert, es war die Zeit der Massenprozesse vor den Staatssicherheitsgerichten, die gesellschaftliche Opposition war niedergedrückt – ein schweigendes Land. In den 6 Jahren seinerAbwesenheit hatte sich das Gesicht seiner Heimat verändert.


Tunç musste, wenn er weiter Musiker sein wollte, einen Neubeginn versuchen, von vorne anfangen, denn die Strukturen aus der Zeit vor dem Putsch gab es nicht mehr. Der Musiker Hasan Hüseyin Demirel begann zu der Zeit, junge Künstler um sich zu scharen und in Istanbul- Unkapanı eine neue Firma für Musikproduktionen aufzubauen. Mit ihm und dem Sänger Emre Saltık wohnte Tunç am Taksim in einer kleinen armseligen Wohnung und weil kein Geld da war, nahm er binnen einer Woche im kleinen Studio Aydonat sein Album „Vurgunum Hasretine“ auf.


Mit dem Masterband in der Hand zog er dann in Unkapanı von Tür zu Tür – allein ohne Erfolg,

die Stücke seiner neuen Platte schreckten die Vertriebsleute ab wie Bomben. Obwohl seine

Stücke nicht radikaler waren als die Ahmet Kaya`s13, erklärte sich niemand bereit, sie zu

veröffentlichen. Nach vergeblichen Versuchen, es in Deutschland zu veröffentlichen, fand sein

Freund Hasan Hüseyin Demirel doch noch eine Firma in Istanbul, die es wagte, die Stücke

heraus zu bringen. Dies war der Durchbruch. Tunç lernte Anfang 1988 Ahmet Kaya kennen, mit

dessen Kassetten „Safak Türküsü“14 und „Yorgun Demokrat“15 damals fast die einzige legale

oppositionelle Stimme zu hören war. Es folgten gemeinsame Konzerte und Tourneen, auch

wiederholt nach Deutschland. Konzerte begannen sich zu Treffen von Oppositionellen zu

entwickeln, waren oft einzige Stätte lebendigen Widerstandes gegen die Verhältnisse. Seit dieser Zeit schon unterstützt Tunç Arbeiterstreiks, Kämpfe um Demokratisierung der Türkei und die zarten Triebe der Umweltbewegung der Türkei. Er sang und singt bei Streiks der Bergarbeiter von Zonguldak ebenso wie bei den Bauern von Bergama [Pergamon], die sich seit Jahren gegen einen geplanten Goldtagebau wehren. Er saß gemeinsam mit den Samstagsmüttern vor dem Galatasaray-Gymnasium, um Aufklärung über die Verschwunden zu fordern16, er singt für die Unterstützung des Menschenrechtsvereins HD17, in dem er aktiv mitarbeitet, und unterstützt das Projekt der Freien Universität18 in Istanbul, wo außerhalb staatlichen Diktats kritische Lehre und Forschung organisiert wird. Die Quittung dafür sind immer wieder Verhaftungen, Konzertverbote und Aufenthalte im Polizeigewahrsam. Seine gestiegene Popularität wurde von einigen linken marginalen Gruppen kritisiert, die bisher auch zu seiner Klientel gehörten. Kızılkaya schreibt dazu: „Für sie passt es nicht zusammen, Sänger des Volkes zu sein, im Fernsehen aufzutreten, Musicclips zu drehen und gute Verkaufzahlen zu haben. Links sein, Revolutionär sein und trotzdem ein breites Publikum ansprechen sind in ihren Augen etwas Schlechtes.“19 Nach Ansicht dieser linken Gruppen, sollte er weiter nur für sie singen; sollte weiter singen von Leid, Bitternis und Kampf.


Das setzte er auch fort, jedoch in immer professionellerem Rahmen –und nicht mehr nur vor diesem Publikum. Nun begleitet ihn eine eigene feste Band auf den Konzerten. Weil Tunç sich seit Jahren in der Demokratiebewegung der Türkei engagiert und für die Gleichberechtigung der Völker und Religionen der Türkei eintritt20, ist er immer wieder Ziel von Verfahren und Verboten der Behörden, die noch immer nicht realisieren, dass die Türkei eben kein homogener Staat ist, in dem gemäß kemalistischer Ideologie ein Staatsvolk – nämlich Türken – mit einer Religion – dem Islam sunnitischer Prägung – leben. Laut Tunç sei es längst überfaÅNllig, die Republik als das anzuerkennen, was sie real darstellt: ein an kultureller, religiöser, ethnischer Vielfalt reiches Land, das an diesem Reichtum partizipieren sollte, anstatt sich selbst zu verletzen und an der demokratischen und ökonomischen Entwicklung zu behindern. Mit diesem Anliegen startete er im Frühjahr 2003 eine Tournee durch die gesamte Türkei mit seiner neuen CD „Nerdesin Ey Kardeslik“ im Gepäck. Die Tournee lief unter dem Motto „Lieder für den Frieden“21, welches abhebt auf die Gefahr, die Chance auf gesellschaftlichen Frieden und Demokratisierung zu verpassen. Die zur Zeit amtierende Regierung der islamischen AKP unter Recep Tayyip Erdogan22 behandelt die dringenden Fragen der Türkei bisher leider wie ihre Vorgänger mit Ignoranz, Aussitzen und „Trostpflaster“-Politik. Während auf dem gewünschten Weg in die EU ein Anpassungsgesetzespaket nach dem anderen erlassen wird, steigt die Zahl der Menschenrechtsverletzungen wieder23, die ökonomische Krise dauert an24und die

Verleugnungspolitik gegenüber den Alewiten und Kurden wird fortgesetzt.25 In diesem Kontext ist ebenfalls die Verhaftung von Ferhat Tunç im Julei 2003 zu sehen26, als er nach einem vom Tourismusministerium geförderten Konzert in Dogubeyazit am Berge Ararat wegen der Worte ,,Merhaba tekrardan“ festgenommen und für acht Tage inhaftiert wurde. Übersetzt bedeuten sie soviel wie „nochmals Guten Tag“. 40.000 Menschen haben diese Worte während des Konzertes gehört. Es war das erste Konzert nach mehr als 20 Jahren in der Stadt, da bis vor kurzem dort noch der Ausnahmezustand galt, und entsprechend groß war die Begeisterung beim Publikum. Lediglich vier Polizisten hatten angeblich etwas anderes verstanden. Sie hörten „Merhaba PKKlilar“ – „Guten Tag PKKler“ - aufgrund dessen wurde Tunç festgenommen. Schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass eine Anklage ungerechtfertigt ist, da keinerlei Beweise seitens des Staatsicherheitsgerichtes vorlagen. Das Konzert wurde mitgeschnitten und aufgezeichnet, doch sämtliche Bänder, die dazu beitrügen, die Unschuld oder Schuld des Musikers zu beweisen, seien verschwunden. Das Staatssicherheitsgericht in Erzurum vertraute ohne Anhörung von Zeugen und Begutachtung von etwaigen Beweismitteln allein den Auskünften der Staatsanwaltschaft von Dogubeyazit, das heißt den Aussagen der Polizei27.


Im Kampf gegen solche Attacken und für Demokratisierung weiß Tunç sich einig mit befreundeten Intellektuellen wie Akın Birdal28, Yasar Kemal29, Esber Yagmurdereli30 oder Yılmaz Erdogan31. Er gibt aber auch Solidarität zurück, indem er zum Beispiel Stücke von im Exil lebenden Künstlern wie dem kurdischen Rockmusiker Ciwan Haco32 oder Aram Tîgran aus Armenien übernimmt, auf Konzerten spielt oder auf seinen CD’s veröffentlicht.

Das Deutsche Generalkonsulat Istanbul verfolgt das Verfahren mit Interesse, da Tunç auch die

deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. In seiner Verteidigungsschrift wiederholte er am 12. August 2003 vor dem Staatssicherheitsgericht von Erzurum: „Wenn wir wirklich Kinder vom selben Schöpfer sind, auf der gleichen Erde leben, unter dem gleichen Himmel und die selbe Luft atmen, warum leben wir nicht die gleiche Menschlichkeit?“33. Das Verfahren gegen ihn wird im Oktober 2003 fortgesetzt34. Weitere zwei Verfahren sind zur Zeit anhängig vor dem Amtsgericht Mardin und dem Staatssicherheitsgericht Hakkari, wo gegen Tunç wegen seiner Worte „Wenn es in diesem Land Kurden gibt, dann gibt es auch die Fragen nach ihrer eigenen Sprache, Kultur und Lebensgewohnheiten.“ gemäß Artikel 312 TCK35, der „Aufwiegelung zu Feindschaft und Hass unter dem Volk“ unter Strafe stellt, ermittelt wird36. Trotz dieser Repressalien will er sich nicht vertreiben lassen, wie es die Behörden bei Ahmet Kaya und Yılmaz Güney37 geschafft haben. Die Verfahren werden seine Anwälte vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof bringen, um einen Präzedenzfall zu schaffen, damit Künstlern in Zukunft Schicksale wie die von Kaya und Güney erspart bleiben.

Seit 1. 9. 2002 schreibt Tunç zweiwöchentlich als Kolumnist für die Tageszeitung „Yeniden

OÅNzgür Gündem“ und seit dem Frühjahr 2003 arbeiten er und Filmemacher Umur Hozatlı an

einem Filmprojekt „Perperik“38. Dies wird der erste ausschliesslich auf kurdisch erscheinende

Film der Türkei, in dem eine typische Geschichte einer Familie aus Dersim erzählt wird, von Natur, Bergen, Flucht, Vertreibung, Exil. In Arbeit ist auch eine sozialkritische Fernsehserie gleicher Thematik.

Ferhat Tunç lebt mit seiner Frau Sevgi und seiner Tochter Didem in Istanbul.

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