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Ovacik

Ovacik

17 Nisan 2009 Cuma

Für ein ''Guten Tag'' ins Gefängnis


ZENITH Zeitschrift für den Orient, Hamburg, 3/2003, S. 54/55,


Tekst :Steffen Riecke


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Im Internet unter URL: http://www.zenithonline.de/hp/start/mainframe.html



Einer der bekanntesten Liedermacher der Türkei, Ferhat Tunc, ist in diesem Sommer bereits das dritte Mal angeklagt.


Im Interview mit zenith erzählt er, warumzenith: Herr Tunc, Anfang September wurden Sie nach einem Konzert in Hakkari, im kurdischen Südosten der Türkei, einem mitternächtlichen Verhör unterzogen. Was ist passiert?

Ferhat Tunc: Die Polizei weckte mich um Mitternacht und verhörte mich in meinem Hotel.

Ermittlungen gegen mich wurden aufgenommen, da ich mich dieses Vergehens schuldig gemacht haben soll mit den Äusserungen “Wenn es in diesem Land Kurden gibt, dann gibt es auch die Fragen nach ihrer eigenen Sprache, Kultur und Lebensgewohnheiten. (...) Es gibt aber Geisteshaltungen, die diesen Friedensprozess sabotieren wollen.” Das ich, nachdem die von mir mit initiierte “Friedensbrücke Hakkari” vor drei Jahren ob starker Repressionen von einem geplanten Konzert abstand nehmen musste, erneut - wie auch vor zwei Monaten in Dogubeyazit – unter Druck gesetzt werde, erfüllt mich mit großer Sorge. Daß sich in Hakkari in diesen drei Jahren nichts geändert hat und die Staatsanwaltschaft mich nach diesem Konzert, dessen Möglichkeit es durchführen zu können, mich sehr gefreut hat, erneut anklagt, stimmt mich sehr traurig.” Trotz dieser neuerlichen Repression und Unrechtmäßigkeiten werde ich nicht davon Abstand nehmen, kontinuierlich meine Meinung zu äußern. Ich werde weiterhin nicht davon ablassen, mich für den Kampf um die Erhöhung der demokratischen Standarts in der Türkei und die Wahrung der Freiheit einzusetzen. Darin weiß ich mich einig mit der Mehrheit der Bevölkerung und Freunden wie Yasar Kemal oder Yılmaz Erdogan.


zenith: Sie sind bereits im Juli nach einem Konzert verhaftet worden, weil Sie angeblich die PKK begrüsst haben?

Ferhat Tunc: Die PKK existiert ja unter dem Namen gar nicht mehr. Es war ein Vorwand, der an den Haaren herbeigezogen war und diente der Machtdemonstration. Es war das erste Konzert nach 20 Jahren in Dogubeyazit am Ararat. Mehr als 40.000 Leute, viele Medienvertreter kamen, um den Auftritt von mir mitzuerleben. Ich begann mein Konzert mit dem Lied ,,Merhaba” (Guten Tag) und anschliessend warb ich mit meiner Grußadresse für Frieden, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit und sagte “Merhaba tekrardan” (nochmals guten Tag). Das soll sich nach Meinung der Sicherheitsbehörden wie “Merhaba PKKlilar” (Guten Tag PKKler) angehört haben. Die Stimmung bei dem Konzert war großartig. Übrigens wurde ich erst acht Tage spaeter nach einem Konzert in Milas, in der Naehe von Bodrum verhaftet – von Polizisten, die mein Konzert großartig fanden und betonten, sie täten nur ihre Pflicht, es sei ein Haftbefehl aus Erzurum eingegangen. Acht Tage war ich im Gefängnis von Mugla inhaftiert.


zenith: Trotzdem wurde das Verfahren gegen Sie am 12. August vor dem Staatssicherheitsgericht eröffnet. Wie sehen Sie dem weiterenVerfahren entgegen?

Ferhat Tunc: Das ist ein Justiz-Skandal, denn eigentlich dürfte es kein Verfahren geben, da

mittlerweile klar ist, dass es keine Anhaltspunkte für die Anklage laut Artikel 169, Unterstützung einer verbotenen Organisation, gibt. Angebliche Beweismittel sind verschwunden. Mitgeschnittene Videobänder könnten zeigen, dass ich nicht die PKK begrüsst habe. Davon wollte das Staatssicherheitsgericht in Erzurum bisher jedoch nichts wissen. Die Staatsanwaltschaft glaubte einfach den schriftlichen Behauptungen der Polizei aus Dogubeyazit, ohne die Beweismittel überhaupt angesehen zu haben. Zur Eröffnung des Verfahrens waren zahlreiche nationale und internationale Berichterstatter anwesend. Eigentlich lautete die Anklage des Staatssicherheitsgerichts auf Unterstützung einer terroristischen oder separatistischen Organisation nach Artikel 169 TCK. Mit der Verabschiedung des achten EUGesetzesanpassungspakets allerdings wurde der Artikel jüngst abgeschafft. So fehlen nicht nur die Beweise im Verfahren gegen mich, es fehlt auch der Paragraph des Gesetzes, auf dem die gesamte Anklage fußt. Kurzerhand wurde die Anklage gegen mich umgeschrieben und lautet jetzt: ,,Unterstützung einer illegalen Organisation" – nach Artikel 312 TCK. Auch das Generalkonsulat in Istanbul erkundigt sich nach dem Verlauf des Prozesses, denn ich habe ja auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Schon jetzt haben sich jene Kraefte, die der Demokratiesierung in der Türkei grosse Steine in den Weg legen, selbst ein Bein gestellt. Fest steht, dass unter derartigen Voraussetzungen europaweit kein Prozess starten würde. In Ländern mit normaler Rechtsstaatlichkeit, würde es kein Staatsanwalt und kein Richter erlauben, derartige Vorwürfe zu erheben, zumal wenn bereits nach wenigen Stunden klar ist, dass es gar keine Beweismittel gibt. Der nächste Verhandlungstag ist der 21. Oktober.


zenith: Welche Bedingungen erlebten Sie im Gefängnis?

Ferhat Tunc: Meine Popularität war mit Sicherheit ausschlaggebend dafür, dass ich gut behandelt wurde. Nach meiner Festnahme brachte man mich in das von Bodrum 200 km entfernt gelegene Gefängnis in Mugla. Meine Anwälte setzten sich sehr für mich ein, so dass ich nach acht Tagen wieder entlassen wurde. Jedoch kam ich erst nach Mitternacht ohne Vorankündigung frei, so konnten die Behörden einen Empfang durch die Bevölkerung und die Medien vor dem Gefängnis vermeiden.


zenith: Haben Sie die Befürchtung, dass sich das Schicksal ihres Freundes Ahmet Kaya, der im Exil in Frankreich starb, bei Ihnen wiederholt?

Ferhat Tunc: Nein, davor habe ich keine Angst. Die Zeiten haben sich geaendert. Es ist zwar ein noch immer angewandtes Mittel, mit der Angst der Bevölkerung Politik zu betreiben, doch laesst sich Demokratiesierung nicht dauerhaft aufhalten. Ich werde nicht ins Exil gehen. Solche Schicksale wie die von Nazim Hikmet, Yilmaz Güney oder Ahmet Kaya dürfen sich nicht

wiederholen. Deshalb werden meine Anwälte die Sache auch vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof bringen.


zenith: Die Türkei möchte in die EU, doch die türkische Regierung verfährt immer noch nach den alten Praktiken. Unter welchen Bedingungen pflichten Sie einem EU-Beitritt bei?

Ferhat Tunc: Ich hoffe sehr, dass die Türkei in die EU aufgenommen wird. Politische

Änderungen sind von den derzeitigen Regierungen und Politikern nicht zu erwarten. Doch würden durch die Annäherung an Europa auch in der EU beschlossene Grundrechte in der Türkei gelten, die auf jeden Fall zur Besserung der Situation im Land beitragen könnten. Zumal die Leute freier werden, wenn die Türkei der EU beitreten kann. Reisen sind dann nicht nur für einige wenige mögllich, sondern jeder hat die Möglichkeit, zu bestimmen, wo er leben möchte. Eine grosse Zeitung hier titelte dieser Tage “Bevor wir Mitglied der EU werden, müssen wir erst einmal Europäer werden”, was bedeuten soll, nicht die eigene Identität aufzugeben, aber das Land zu demokratisieren.


zenith: Für die etwa 10 000 politischen politischen Gefangenen der Türkei, für die zwangsweise im Exil lebenden und für die tausenden Geurillakämpfer, die trotz des Waffenstillstandes immer noch in den Bergen des Nordirak ausharren müssen, gibt es die Forderung verschiedener Parteien, NGO´s und Gewerkschaften nach einer Generalamnestie, für Reintegration und gesellschaftliche Partizipation. Unterstützen Sie diese Kampagne?

Ferhat Tunc: Auf jeden Fall. Die sogenannte kurdische Frage muss geklaert werden. Eine Generalamnestie würde den Willen der Regierung zeigen, das Problem zu klaeren und endlich nach Frieden zu streben. Es waere ein grosser Schritt für die Demokratisierung in der Türkei. Ein Reuegesetz, wie es die Regierung jetzt beschlossen hat, ist nicht ausreichend. Der Wunsch nach Frieden innerhalb der gesamten Bevölkerung ist groß. Die Kurden streben schon lange nach Frieden und haben ihren Willen danach auch immer deutlich zum Ausdruck gebracht. Jedoch lassen sich Konflikte dauerhaft nicht vermeiden, solange es keine Gleichbehandlung für das kurdische Volk gibt. Es ist nicht möglich, sie immer nur häppchenweise ruhigzustellen. Mit einer kurdischen Fernsehsendung hier und einer Stunde kurdischem Radio dort ist das Problem jedenfalls nicht gelöst. Es ist längst überfaÅNllig, die Republik als das anzuerkennen, was sie real darstellt: ein an kultureller, religiöser, ethnischer Vielfalt reiches Land, das an diesem Reichtum partizipieren sollte, anstatt sich selbst zu verletzen und an der demokratischen und ökonomischen Entwicklung zu behindern.


zenith: Hat sich die Situation für kurdische Künstler nach Aufhebung des Sprachverbotes

gebessert?

Ferhat Tunc: Auf jeden Fall. Sie können nun in ihrer Muttersprache singen oder Filme drehen. Es gibt kurdische Kassetten überall zu kaufen und kurdische Filme gewinnen viele Preise, national und international. Das solche Produkte trotz Auszeichnungen konfisziert und verboten werden, zeigt aber wie halbherzig diese Öffnung praktiziert wird. Kurdisch ist meine

Muttersprache, aber durch das langjährige Sprachverbot, beherrsche ich sie nicht perfekt. Aus Angst vor Repressalien in der Schule, brachte mir meine Mutter vor allem türkisch bei. Doch ist das für mich kein Grund an meiner Identität zu zweifeln. Das wichtigste sind doch meine Gedanken und Gefühle - mit welchem Instrument und in welcher Sprache ich mich ausdrücke ist zweitrangig. Ich werde weiter auf türkisch und kurdisch singen, oder mich wie jetzt auf deutsch äußern. Musikalisch spielt die Sprache in meinen Liedern nicht die Hauptrolle. Jedoch habe ich auf meinen Konzerten, auch während der Zeit des kurdischen Sprachverbotes, immer wieder kurdische Lieder gesungen. Anschließend wurde ich dann meißt festgenommen, war aber nach maximal zwei Tagen wieder auf freiem Fuss. Die Begründung, dass ich über 100 Jahre alte kurdische Volkslieder nicht einfach auf türkisch singen kann, wurde jedoch nie akzeptiert. Es wäre den Kräften, die hinter meiner Verhaftung stehen am liebsten, wenn ich aufhören würde, auch politische Themen zu bearbeiten und meine Meinung zu äußern. Doch sie werden nicht erleben, dass ich wie die Popsternchen in den türkischen Musikkanälen nur belanglose Texte singe. Meine Unterstützung gilt auch weiterhin den zivilgesellschaftlichen Kräften der Türkei,wie etwa dem IHD, der Bewegung derFreien Universität oder den Samstagsmüttern.


zenith: Sie spielen bei Konzerten auf der Saz von Hasret Gültekin, was hat das für eine Bedeutung für Sie?

Ferhat Tunc: Dass ich das Instrument von Hasret Gültekin spielen darf, bedeutet mir sehr viel. Er kam bei dem Anschlag auf das Hotel Madimak in Sivas ums Leben. Dort wurden 1993 viele bedeutende alewitische Künstler und Intellektuelle ermordet. Da ich nun seine Saz spiele, lebt er weiter. Niemand wird ihn und seine Musik vergessen. Es ist für mich eine Ehre seine Saz spielen zu dürfen und zugleich Verpflichtung weiter für Frieden, Brüderlichkeit und Freiheit zu singen. Das hat auch mit der alewitischen Seite meiner Identität zu tun.


zenith: Sie sprechen sehr gut deutsch, wo lernten Sie das?

Ferhat Tunc: Ich habe von 1979 bis 1985 in Deutschland gelebt. Meine Famillie lebt immer noch dort, in Rüsselsheim, meine Tochter ist dort geboren. Dort in Deutschland produzierte ich auch meine erste Kassette “Kızılırmak”.


zenith: Haben Sie eine Deutschland-Tournee geplant?

Ferhat Tunc: Ende diesen Jahres würde ich gern nach Deutschland kommen. Die Tournee ist geplant, doch stehen noch keine genauen Termine fest. Vielen Dank für das Gespraech.


Steffen Riecke, Istanbul

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